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Warum das Trockenwerden nicht immer “mit der Zeit kommt”

Aktualisiert: 28. Apr.

Viele Eltern von Kindern mit Behinderung leben hinsichtlich des Trockenwerdens nach dem Prinzip: “Mein Kind wird mir zeigen, wann es bereit dafür ist.” oder “Das wird schon von ganz alleine mit der Zeit kommen.”, so wie es ja auch bei vielen bzw. den meisten Kindern ohne Behinderung der Fall ist. Grundsätzlich stimme ich dem auch zu: Man sollte kein Kind zu früh dazu zwingen oder Druck aufbauen trocken zu werden. Allerdings muss man hier ganz klar sagen, dass sehr sehr viele Kinder mit Behinderung nie von sich aus zeigen werden, dass sie bereit dafür sind. Obwohl sie es sind.


Die Sache mit dem “von sich aus Zeigen”


Es gibt viele Eltern, die berichten, dass ihr Kind zu einem gewissen Zeitpunkt selbst entschieden hat in die Toilette auszuscheiden. Bei Kindern mit Behinderung fallen die Zeichen, dass die Windel nicht mehr gewünscht ist jedoch häufig für uns unersichtlich bzw. unentdeckt aus. Bei vielen Kindern sind die Signale so subtil, dass wir sie schlichtweg übersehen. Oder sie zeigen es, wir nehmen es aber nicht als solche wahr. Viele Eltern kommen beispielsweise nicht auf den Gedanken, dass ein Kind, welches sich ständig die Windel (in unpassenden Situationen) auszieht, einfach nicht mehr gewickelt werden möchte. Sondern die Eltern gehen davon aus, dass das Verhalten eine weitere herausfordernde Verhaltensweise ist, solche wie sie ihr Kind bereits in anderen Formen zeigt.


Hinzukommt, dass bei vielen Kindern die Angst bzw. Ablehnung gegenüber Veränderungen, wie sie z. B. häufig bei Kindern mit Autismus-Spektrum-Störungen vorzufinden ist, daran hindert von sich aus die Windel gegen die Toilette einzutauschen. Man kann also bei manchen Kindern sehr lange darauf warten “dass sie die Windel von sich aus nicht mehr wollen”. Hierbei muss man sich vor allem stets ins Gedächtnis rufen, dass die Nutzung der Toilette eine sozial erlernte Fähikeit und nichts natürliches ist. Jedes Kind "muss also lernen, die Toilette zu nutzen". Nur weil es bei Kindern mit Behinderung wesentlich strukturierter und oftmals mehr Regeln nötig sind, bedeutet dies nicht, dass man ihnen etwas aufzwingt. Sondern ihnen lediglich die nötige Sturkur bietet, die sie brauchen, um die Veränderung langfristig leben zu können.


Die Sache mit der Motivation


Ein weiterer, wichtiger Aspekt ist die sogenannte intrinsischen Motivation. Die intrinsische Motivation ist die innere, aus sich selbst entstehende Motivation eines jeden Menschen: Bestimmte Tätigkeiten macht man einfach gern, weil sie Spaß machen, sinnvoll oder herausfordernd sind. Oder weil sie einen schlicht interessieren. Und wenn wir erwarten, dass ein Kind uns von sich aus zeigen kann, dass es Trockenwerden möchte, müssen wir ein gewisses Maß an intrinsischer Motivation voraussetzen.

Es gibt aber zahlreiche Studien, die belegen, dass beispielsweise Kinder mit Autismus-Spektrum-Störungen Auffälligkeiten in der Entwicklung der intrinsischen Motivation zeigen. Häufig ist diese nur vorhanden, wenn es um Spezialinteressen geht. Nicht aber in anderen Lebensbereichen. Und auch bei Kindern mit Trisomie 21 wurde eine geringere intrinsische Motivation festgestellt. Das liegt u. A. daran, dass die intrinsische Motivation voraussetzt, dass wir uns das Ziel, welches wir in der Zukunft erreichen möchten, vorstellen können. Dein Kind muss sich also konkret vorstellen können, Pipi und Kacka in die Toilette zu machen, um hier von sich aus eine Motivation zu entwickeln.


Was bedeutet das für mich als Mama/Papa?


Es bedeutet, dass dein Kind bereits Unterstützung darin braucht, wenn es um den Zeitpunkt geht. Das Trockenwerden ist sowieso ein Prozess, den ihr gemeinsam als Team meistert! Dass du sozusagen “einfach entscheidest”, wann der richtige Zeitpunkt ist, gehört also zu eurem Trockenwerden schlichtweg dazu. Und die Entscheidung zu starten ist auch nicht übergriffig oder übereilt. Du entscheidest ja nicht, dass es an der Zeit ist für dein Kind windelfrei zu leben, weil dir heute mal danach ist. Sondern weil du erkannt hast, dass es ein Bedürfnis und ein Recht deines Kindes ist windelfrei zu leben, daher geschieht diese Veränderung im Sinne deines Kindes. Es kann sein, dass man das Risiko eingeht zu früh zu starten. Das ist aber kein Drama dann oder Versagen, sondern eine Chance etwas dazu zu lernen und das windelfreie Leben vorzubereiten. Meiner Meinung nach ist es besser, man hat es versucht anstatt dass man immer in seiner Comfortzone geblieben ist.

Und by the way keins der Kinder, die ich bisher begleitet habe, hat es nicht geschafft bzw. der Zeitpunkt war völlig daneben!

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